Melken in Zeiten des Krieges
Sivan Lacker, DVM, war Ende Juni zu Gast bei unserer Jubiläumstagung in Leibnitz und hat einen erinnerungswürdigen Vortrag über Milchviehmanagement und Haltung gehalten. Sie ist im Norden Israels nahe Haifa zu Hause und leistet jetzt ihren ganz eigenen Beitrag zum Tierwohl. Nachstehend ein Ausschnitt aus einem Video-Call Mitte November.
Sivan, wie ist das Leben in Israel seit dem 7. Oktober?
Nichts ist mehr so wie es war. Wir sind sehr eingeschränkt in unserem Bewegungsradius, weil wir uns ständig in der Nähe eines Kellers aufhalten müssen, den wir bei Angriffen aufsuchen müssen. Ich habe bereits einige Tage mit meinen kleinen Kindern im Bunker verbracht. Seit ein paar Tagen ist der Kindergarten in meiner Region wieder im Betrieb und ich kann mich wieder etwas freier bewegen. Neben dem Grenzgebiet zu Gaza ist es aber auch im Norden sehr gefährlich geworden. Viele Betriebe mussten dort auch wegen der Angriffe aus Syrien und dem Libanon schließen.
Israel ist bekannt für die außergewöhnlich hohe Milchproduktion. Wie geht es in den Milchviehbetrieben, die ja stark auf ausländische Arbeiter angewiesen sind, zu?
Es ist katastrohpal. Als die Angriffe begonnen haben, wurden die Arbeiter in den grenznahen Betrieben auch attackiert und großteils getötet. Die thailändische Regierung (die meisten Arbeiter kommen aus Thailand, Anm.) hat in den ersten Tagen des Krieges Flugzeuge zur Evakuierung der Arbeiter gesendet, seither ist niemand mehr da. Es gab Betriebe mit 800 und mehr Kühen, die von einem Tag auf den anderen vollkommen verlassen waren. Die Kühe haben gehungert, einige sind gestorben. Bis heute sind schon gut 30 % der milchproduzierenden Betriebe in Israel zerstört.
Sivan, du hast dich in dieser Situation auf Deine eigene Weise engagiert. Erzähle uns davon!
Ich beschäftige mich seit Jahren mit der Ausbildung von Arbeitern im Milchviehbetrieb, also habe ich beschlossen, Freiwillige, die sich bereit erklären, in diese verlassenen Betriebe zu fahren und sich dort um die Tiere zu kümmern, in Schnellsiedekursen anzulernen. Ganz in der Nähe meines Hauses befindet sich ein Milchbetrieb, den ich zu Schulungszwecken nutzen kann. Die Leute lernen das Notwendigste und dann ziehen sie los, begleitet von Soldaten, die sie beschützen während der Arbeit. Wie so oft machen die Leute in Israel alles, um einander zu helfen. Manche kochen für die Soldaten und stellen das Essen auf die Straße, und bei mir war es wie in einem Witz: „Ein Mechaniker, ein Flötist und ein Buchhalter gehen in den Kuhstall…“ Alle müssen an einem Strang ziehen und den Tieren auf den Betrieben helfen, so gut es eben geht.
Wie steht es um die Tiergesundheit?
Die Kühe sind natürlich in keinem guten Zustand. Es handelt sich um Hochleistungsherden, die nicht nur drei Mal täglich gemolken, sondern auch dementsprechend gefüttert werden. Die Eutergesundheit ist daher ein großes Thema geworden und es wird lange dauern, bis wir die Herden wieder einigermaßen saniert haben. Dazu gibt es viele Aborte, und Fruchtbarkeitsprobleme.
Du hast uns im Rahmen der Tagung in Leibnitz von einem groß angelegten Projekt zur muttergebundenen Kälberaufzucht berichtet, das Anfang November starten sollte von einer der größten Molkereien in Israel mitgetragen wird. Wie steht es darum?
Das Projekt startet, aber in einem kleineren Rahmen. Wenn ich das nicht hätte würde ich wohl depressiv werden. Aber die Leute, die dahinter stehen, sind mit Herzblut bei der Sache. Der Betrieb, der jetzt mit der muttergebundenen Kälberaufzucht beginnt, hat eine saisonale Abkalbung und produziert ohnehin mehr Milch, als seine Quote gestattet. Er verwertet sozusagen die Überproduktion. Wir sind gespannt, wie es läuft!
Vielen Dank für das Gespräch!